Motive für den Aufbau einer Universität

1. Der ehrgeizige Wittelsbacher Ruprecht I. wollte das durch viele kleine Besitztümer zerschnittene pfälzische Territorium abrunden und eine einheitliche Verwaltung aufbauen. Dafür brauchte er kenntnisreiche Leute, die mit Besitzrechten verschiedener Rechtslagen kalkulieren, taktieren und unterschiedliche Traditionen ausgleichen konnten. Dieser Aspekt in den Überlegungen des pfälzischen Landesherrn, der vor allem die Magister (weniger die Studenten) betraf, kam dann unter dem Großneffen Ruprechts I., Ruprecht III., der von 1400 bis 1410 König des "Heiligen Römischen Reiches" war, und vor allem ab Mitte des 15. Jahrhunderts deutlicher zum Tragen als in der Zeit der ersten Anfänge der Heidelberger Universität. Die Ausbreitung des römischen Rechtes, die Anfänge einer sogenannten "Verwissenschaftlichung der Politik" brachten eine neuen Rationalität in die inneren und äußeren Beziehungen der Länder...

2. Neben der direkten Nützlichkeit der Magister (nicht nur der Juristen) für die Ansprüche der kurfürstlichen Verwaltung spielte auch die zu erwartende Erhöhung des Ansehens der Residenzstadt durch den Aufbau einer Universität eine Rolle. Nach dem Vorbild schon bestehender Hochschulen (für Heidelberg war hier vor allem Paris wichtig, von woher auch der erste Rektor der Universität, Marsilius von Inghen, kam) wollte Ruprecht auch für die Pfalz einen geistigen und kulturellen Mittelpunkt schaffen. Die Wittelsbacher schlossen 1386 zu den beiden anderen großen Dynastien des spätmittelalterlichen Wahlkaiserreichs auf: mit den Luxemburgern, deren größter Vertreter, Karl IV., 1348 die Prager Universität gegründet hatte - und mit den Habsburgern, die 1365 in Wien eine Universität errichten konnten.

3. Ein damals weltpolitisch wichtiges Ereignis gab dem Ansinnen von Ruprecht I. die denkbar günstigsten Voraussetzungen: Die Kirchenspaltung von 1378, die durch die Wahl zweier Päpste, Clemens VII. in Avignon und Urban VI. in Italien ausgelöst wurde. Wie die zentral verfaßten Bettelorden bekamen auch die Universitäten die Verdoppelung der Kirchenhierarchien schnell zu spüren. Universitätsmitglieder galten als Kleriker, die Gott dadurch dienten, daß sie Wissen ansammelten. Sie sprachen Latein, waren überregional orientiert und nicht an Ländergrenzen gebunden. Gute Universitäten und mitreißend argumentierende Gelehrte zogen viele Studenten an. Die Glaubensspaltung stand nun quer zur Anziehungskraft der fachlichen Qualifikation von Gelehrten und der Ausstrahlungskraft der Universitätsorte. Und nicht selten entschied nun die über den Herkunftsort organisierte kirchliche Finanzierung mit darüber, in wessen "Oboedienz" sich Gelehrt begaben und für wen sie zu Häretiker wurden. Wer beispielsweise in der Pariser Universität bleiben wollte, mußte sich dem Papst in Avignon anschließen. Wer dies nicht wollte oder aus finanziellen Rücksichten nicht konnte, der mußte ausweichen.

Ruprecht I. (dessen Wandel zur römischen Obödienz schon 1378 begann, der aber bis 1383 Anhänger des Papstes in Avignon war) hatte schnell erkannt, daß ein gespaltenes Papsttum erpreßbar ist, und ließ sich seine Loyalität zu Rom vom dortigen Papst mit einem großzügigen Universitätsprivileg honorieren - ein Privileg, das den Studierenden überhaupt erst ein überregional anerkanntes Studium ermöglichte und den Titeln „Magister" oder „Doktor" auch an anderen Orten Geltung verschaffte.

4. Lieferte die Pariser Universität für Heidelberg das Organisationsmodell, den kenntnisreichen und mit jährlich über 200 Gulden recht hoch dotierten Rektor, einen Teil des Lehrpersonals und der Studenten, so profitierte die Neckarstadt aber vor allem von einem „brain drain" aus Prag, deren 1348 unter Karl IV. gegründete Universität infolge eines Streites zweier Lehren einen eigenen Weg verfolgte. In Prag wurde die Lehre des "Realismus" vertreten, in Heidelberg - wie in Paris - die Lehre des „Nominalismus". Die von den Deutschen in Prag vertretene Lehre des Nominalismus konnte sich (insbesondere aufgrund ihres überstiegenen Auftretens) nicht mehr halten, und die deutschen Magister mußten auswandern. Doktoren und Magister von Rang zogen meist einen Anhang von Studenten aus dem gemeinsamen Herkunftsland mit sich, mit dem sie in wirtschaftlicher Verbindung blieben. (Das mußte auch Heidelberg schmerzlich erleben, als 1388 die Universität in Köln eröffnet wurde und damit das niederrheinische Einzugsgebiet für die Heidelberger Universität verlorenging.)

5. Eine Universität bringt für eine kleine Stadt - Heidelberg hatte damals kaum 4000 Einwohner - viele neue Einnahmequellen. Der Handel, das Handwerk, Bürger, die Zimmer vermieten konnten, alle profitierten von den neu zuziehenden Studenten und Gelehrten, die ja häufig noch einen Troß von Dienern mit sich zogen. Natürlich gab es für die Stadt auch Einschränkungen an Nutzen, wenn man die nach Pariser Vorbild aufgebaute Privilegiengemeinschaft Universität genauer betrachtet. So wurden ihr in werbender Absicht Steuer- und Zollfreiheit, gewisse Mietpreiskontrollen und andere materielle Vorteile zu Lasten der „staatlich"-städtischen Einheit zugesprochen. Dies wurde jedoch bei weitem aufgewogen (z.B.) durch kirchliche Benefizien, die durch päpstliches Privileg den Kleriker-Studenten und Gelehrten von einem Bezugsort außerhalb Heidelbergs gewährt wurden und damit ökonomisch die Wirtschaftseinheit Kirche belasteten. Die Einrichtung von "Pfründen" zwecks Unterhalt eines Universitätsmitgliedes war eine der großen Abstraktionsleistungen des Mittelalters. Die Gelehrten der Universität (um die ging es hier hauptsächlich) bekamen an einem bestimmten Ort einen Altar mit einem gewissen Stiftsvermögen zugewiesen, konnten aber ihre dortigen Pflichten an einen geringer bezahlten Vikar delegieren und am Universitätsort der gottgefälligen Wissensansammlung oder -vermittlung nachgehen. Aus einer einfachen Pfründe ergab sich eine Einnahme von 50 bis 80 Gulden im Jahr, bei einer Doppelpfründe 100 bis 160 Gulden. Von 20 Gulden konnte ein Student, der einen Schilling Einschreibegebühr und für eine Übung 3 Gulden pro Jahr zahlen mußte, ein Jahr lang leben.

(Wenn Marsilius von Inghen, der anfangs in der Universität dominanten Artistenfakultät zugehörig, 200 Gulden pro Jahr neben einigen wichtigen Vergünstigungen bekam, so deutet das auf eine gewisse "Starrolle" hin)

Der Besitz einer der hier erwähnten Pfründen bot die Möglichkeit, die Ergebnisse fremder Arbeit zu nutzen und war eine Technik des Abschöpfens von erarbeitetem Überschuß. Bei bestimmten Pfründen könnte man aber auch von einer mit dem Seelenheil taktierenden Ausbeutung (vor allem) der Bauern sprechen. Die moralische Gewichtung soll hier aber keine Rolle spielen.