Der Stadtaufbau von Heidelberg

Der Grundriß der staufischen Kernaltstadt zeigt durch seine Regelmäßigkeit die planmäßige Anlage neben dem bereits bestehenden Weiler. Die Altstadt war von der Planken- bis zur Grabengasse 600 m lang und an der Grabengasse 450 m breit. Parallel zum Neckar erstreckte sich die Hauptstraße als Längsachse vom Obertor zum Untertor (später Mitteltor). Von den Längsstraßen war die Untere Straße von gleicher wirtschaftlicher Bedeutung und als Wohngegend ebenso gut angesehen wie die Hauptstraße, während die Ingrimstraße vom Verkehr, der über die Alte Brücke strömte, abgelegen war. Die Ingrimstraße hörte bei der Kettengasse auf. Die Merianstraße ist ein späterer Durchbruch, der dann "Untere Ingrimstraße" genannt wurde. Alle weiteren heutigen Längsstraßen waren einfach Wege entlang der Stadtmauer. Die Hauptquerachse verlief von der Alten Brücke über den Marktplatz im Mittelpunkt der Stadt zum Schloßberg hin. Die zahlreichen Quergassen, die die Längsstraßen durchkreuzen, bilden ein regelmäßiges Grundmuster, das die Planmäßigkeit der Stadt deutlich hervortreten läßt.

Die Bewohner der Stadt werden in einer Urkunde von 1217 als "burgenses" (Bürger) bezeichnet. Diese Bezeichnung ist von Burg abgeleitet. Die städtischen Bürger konnten sich hinter ihren Stadtmauern, die 1235 urkundlich erwähnt sind, "infra murum civitatis nostrae Heidelberg", sicher wie in einer Burg fühlen und ihren Geschäften nachgehen. Bei feindlichen Angriffen galt dann aber auch als höchste Bürgerpflicht, die Stadt zu verteidigen. Dabei war von vorneherein genau eingeteilt, wer welchen Abschnitt der Stadtmauer im Ernstfall zu schützen hatte. Z.B. hielten die Studenten die Stadtmauer vom Hexenturm bis zum Mitteltor - und die nach Zünften geordneten Handwerker vom Mitteltor bis zum Frauenturm (Heuscheuer) besetzt. (9)

Das Mitteltor, das zuvor Untertor genannt wurde, erhielt seinen Namen nach der Stadterweiterung von 1392 durch Ruprecht II. Nach der Gründung der Universität im Jahre 1386 und dem allmählichen Ausbau Heidelbergs zu einer kurfürstlichen Residenzstadt war die staufische Kernaltstadt zu eng geworden. Daher wurde die Fläche der Stadt Heidelberg etwa verdoppelt, indem die Bewohner Bergheims gewaltsam in die westliche Vorstadt umgesiedelt und eingemeindet wurden. Die neue Stadtgrenze verlief nun eine Hausbreite östlich der Sofienstraße - und nach der Ummauerung der "neuen Stadt" wurde das Speyerer Tor vor der Hauptstraße zum Untertor. An der "Westfront" übernahmen die kurfürstlichen Truppen die Verteidigung.

In östlicher Richtung lag vor den Stadtmauern an der Plankengasse die sogenannte Jakober Vorstadt, an die noch heute die Jakobsgasse erinnert. (Dort lagen die Quartiere der Pilger, deren Schutzheiliger St. Jakob war. Die Pilger muáten sich draußen vor den Toren der Stadt niederlassen, da man die Einschleppung von Seuchen befürchtete.) Dem heiligen Jakob war auch eine kleine Kirche unterhalb des Schlosses geweiht. Daher wurde das Obertor auch als "Jakobspforte" bezeichnet. Die Kapelle samt Nebengebäuden gehörte dem Kloster Schönau. Hier waren seit 1388 die vom Kloster zum Studium an die Universität delegierten Mönche untergebracht.

Schließlich ist noch der Schloßberg bzw. die Bergstadt als besonderer Bereich zu nennen, in dem Hofbedienstete und nach der Zerstörung des Schlosses "arme Leute" wohnten. Die Bewohner des Schloßbergs hatten gegenüber den Stadtbürgern eine mindere Rechtsstellung (wie auch die Bewohner der 1392 gegründeten Vorstadt), die erst nach der Verlegung der Residenz nach Mannheim im Jahre 1720 in Frage gestellt und schließlich 1743 vom Kurfürsten Karl Theodor aufgehoben wurde. Die Bergstädter hatten ihr eigenes Rathaus und ihr eigenes Niedergericht unter dem Vorsitz eines Schultheißen, das in Zivilsachen zuständig war. Für Criminalsachen war die kurpfälzische Gerichtsbarkeit zuständig. Ferner waren die Bewohner des Schloßbergs frei von der überaus lästigen Pflicht der Einquartierung von Soldaten. Ihre Gegenleistung bestand in den Frondiensten wie Eishauen am Wolfsbrunnen, Aufnahme und Pflege von erkrankten Bediensteten des Schlosses, Botengänge und Reisebegleitung für den Hof sowie Säuberungen im gesamten Schloß. Von den Freiheiten des Schloßbergs zeugt noch heute der Name des Hotels "Burgfreiheit" beim Schloß. Im Untergeschoß des Kurpfälzischen Museums findet sich in Stein gemeißelt das Symbol der Burggerechtigkeit: eine abgeschlagene rechte Hand.

An der Spitze der Heidelberger Stadtverwaltung stand der bereits 1203 urkundlich erwähnte Schultheiß (scultetus), der im Mittelalter dem Heidelberger Patriziat oder dem niederen pfälzischen Adel entstammte. Die Schultheißen zählten nicht zur Bürgerschaft, sondern waren als herrschaftliche Beamte allein dem Pfalzgrafen verantwortlich, der über diesen verlängerten Arm den Stadtbürgern seinen Willen aufzwingen konnte. Die starke Abhängigkeit vom Landesherrn, der die Zügel immer straffer anzog, hat dazu geführt, daß es in Heidelberg kaum soziale Unruhen gab. "Indem die Kurfürsten durch Jahrhunderte immer im Hintergrund standen, bereit, ordnend einzugreifen, fehlen der Stadtgeschichte fraglos jene dramatischen Momente, die wir oft bei anderen Städten mit Spannung verfolgen: eiserne Entschlossenheit, dem Landesherrn Rechte abzutrotzen, Ringen verschiedener Schichten um das Stadtregiment, Zunftkämpfe. Andererseits hat aber die einseitige Machtverteilung eine Stetigkeit der Entwicklung gesichert, die dem Rückwärtsschauenden etwas leichter über die Lückenhaftigkeit des Urkundenmaterials hinweghilft." (10)

Nicht immer allerdings waren die Heidelberger brav geblieben. So probten sie im Dezember 1356 während der Abwesenheit des Kurfürsten den Aufstand und versuchten, ein für sie günstigeres Stadtrecht durchzusetzen. Es blieb vergeblich. Kurz darauf diktierte ihnen Kurfürst Ruprecht der ältere eine viermal im Jahr zu beschwörende Eides- und Huldigungsformel, in der die Heidelberger beschwören mußten, keine eigenmächtigen Änderungen der Stadtverfassung vorzunehmen, keine Ratsleute und Bürgermeister abzusetzen, keine Priester, kurpfälzischen Beamten und Juden zu schädigen. Zudem mußten die Bürger der Stadt dem Kurfürsten diese Verpflichtung in einer eigens ausgestellten Urkunde bestätigen (25.Januar 1357)

Die älteste Körperschaft, die die Interessen der Stadtgemeinde vertrat, waren die 1257 erstmals erwähnten Schöffen (scabini), die neben den juristischen auch Verwaltungsaufgaben erfüllten. Ab 1287 ist der Rat (consules) bezeugt, dem spätestens seit Ende des 14. Jahrhunderts 12 Ratsherren angehörten. Aus dem Rat wurde seit 1288 ein Bürgermeister (magister civium) gewählt, der schon im Jahre 1300 von einem zweiten unterstützt wurde. Während die Ratsherren lebenslang amtierten, verwalteten die Bürgermeister ihr Amt nur ein Jahr. Die hauptsächlichen Aufgaben der Bürgermeister lagen im Gerichts- und Finanzwesen. Sie hatten aber nicht im entferntesten die heutigen Gestaltungsmöglichkeiten, sondern blieben stets dem Schultheiß untergeordnet. Außerdem konnten sie ebenso wie die Ratsherren nur mit der Einwilligung des Pfalzgrafen in ihr Amt eingesetzt und jederzeit nach seinem Gutdünken auch wieder abgesetzt werden.

In den Stadtrat konnten nur wohlhabende Leute gelangen, da die Besoldung äußerst gering war. Dafür genossen die Stadträte manche Vergünstigungen; sie waren vor allem von den herrschaftlichen und städtischen Lasten befreit. Neben dem Stadtrat gab es noch eine zweite kommunale Interessensvertretung, die der "kleine Rat" genannt wurde. Als es zu einer schweren Vertrauenskrise zwischen Rat und Gemeinde kam, die in anderen mittelalterlichen Städten wahrscheinlich zur Vertreibung des "alten Rats" geführt hätte, griff der Kurfürst ordnend ein. Friedrich der Siegreiche bestimmte 1474, "das hinfur zwen burgermeister und vier von der gemeinde und zunften bi der (Geld-) satzung sin." (11) Die beiden Bürgermeister der Gemeinde, die auch als " gemeine Bürgermeister" bezeichnet wurden, bekamen das Recht, die Rechnungsführung des Stadtrats zu kontrollieren und sich gegebenenfalls beim Kurfürsten zu beschweren. Bei allen Ratssitzungen konnten sie die "gemeinen Anliegen" vortragen. Daneben hatten sie gemeinsam mit den Vierern besondere Aufgaben wie: Aufsicht über Wald und Weide, Anstellung des Kuh- und Schweinehirten - oder die Erhebung des Hirtenlohns. Die vier Vierer (oder Viertelmeister) vertraten die Interessen ihres Stadtviertels, denn die Stadt war schon im 14. Jahrhundert "zur Steuererhebung, zu Wach- und Feuerschutz, vor allem zur Überwachung des geschäftlichen und sittlichen Treibens" (12) in vier Quartiere eingeteilt worden, in denen die Vierer die polizeiliche Aufsicht führten.

Die Heidelberger Stadtbürger waren von allen direkten Steuern befreit und genossen unbedingte Freizügigkeit und freien Handel. Dafür wurden sie bei den indirekten (Verbrauchs-) Steuern zur Kasse gebeten und mußten bei bestimmten Anlässen einmalige herrschaftliche Abgaben errichten. Die wichtigsten Verbrauchssteuern, die dem Pfalzgrafen zustanden, werden bereits 1225 in Schönauer Urkunden erwähnt: Zoll, Ungeld (Akzise) und Weinschrötergebühr. Daneben erhob der Pfalzgraf damals noch die Bede (precaria oder petitio), eine regelmäßige Grund- und Gewerbesteuer, die jährlich festgelegt wurde. Nach der Feuersbrunst von 1288 und dem Hochwasser des gleichen Jahres, das die Holzbrücke über den Neckar zerstörte, stand es um die wirtschaftliche Substanz der Stadt so schlecht, daß der Pfalzgraf seinen Bürgern vorübergehend die Bede erließ. Nicht als laufende Jahressteuer, sondern als Umlage zu bestimmten Zwecken, wie Kriegszüge, Fehden, Turniere, Heirat einer Prinzessin, gab es schließlich noch die Schatzung (exactio). Der Schatzung von 1439 haben wir das erste vollständige, nach Zünften gegliederte Einwohnerverzeichnis Heidelbergs zu verdanken. Nachdem der bewegliche und unbewegliche Besitz der Stadtbürger geschätzt worden war, wurden 5% des Wertes als Vermögenssteuer festgelegt. Von diesen Schatzungen standen 10% der Stadt zu - weitere städtische Einnahmequellen sind für die älteste Zeit nicht belegt. Die endgültige Regelung der städtischen Finanzen findet sich in der Stadtordnung von 1465, die Friedrich der Siegreiche erlassen hatte. Dort heißt es unter § 41: "An den vor- und nachgeschriben ungelt, fellen, penen und offsetzung, und was zu busse gefallen wirdet, solle uns hertzog Friderich obgenant und nach unserm tode dem vorgenanten unserm lieben sone hertzog Philips und unsern vorgeschriben erben dru teil fallen, und unser stat Heydelberg das vierteil werden zu stuer, damit der stat gulte und zinse, auch statmüver, zwinger, thorne, porten, statgraben und andere büwe, auch wege, stege, brucken in wesen, wachter und andere der stat diener und zu der notturft davon ußzurichten und zu erhalten." Der Anteil der Stadt wurde allerdings schon unter Friedrichs Nachfolger 1477 auf ein Drittel erhöht. Das Wieggeld stand der Stadt alleine zu, ebenso der Brückenzoll, für den sie aber die Brücke in gutem Stand zu halten hatte. Dazu kam noch der Allmendbesitz, wovon allein der Wald die bedeutendste Einnahmequelle der Stadt war.

Die Stadt Heidelberg war auf finanziellem Gebiet vom Kurfürsten vollkommen abhängig, da sie am Steuersystem nichts ändern und im Bedarfsfalle keine direkten Steuern ausschreiben konnte. (13) Andererseits konnte sie auch die Ausgaben nicht erhöhen und ihre Bediensteten und Ratsherren besser besolden. In Notzeiten war dann die wirtschaftliche Grundlage zu schmal, um die erforderlichen höheren Ausgaben zu leisten, so daß man sich als letzte Zuflucht immer wieder an den "milden und gnädigen" Landesherrn wenden mußte. "So war es eigentlich Selbsterhaltungstrieb, daß die Stadt alles daran setzen mußte, sich das Wohlwollen des Landesherren nicht zu verscherzen. Wie sollte man seine Hilfe erbitten, wenn er sich ungnädig wegwandte?" (14)