Grenzen

Über Grenzen ist schon viel geredet oder geschrieben worden. Zurzeit in erster Linie wegen der zunehmenden Flüchtlingsströme aus unterentwickelten oder in Kriege verwickelten Ländern.

Grenzen kommen so häufig in unserem Leben vor, dass wir den Begriff „Grenze“ jeweils definieren müssen, also ihn begrenzen. Und schon im Begriff „definieren“ steckt ja das lateinische Wort „finis“, was ja u.a. Grenze, Ende, Zweck bedeutet. Und definieren bedeutet u.a. auch diskriminieren, also unterscheiden, dass dieses nicht gleich jenes ist. Ohne Definitionen und Diskriminierung gäbe es keine Wissenschaft. Und auch jede Wissenschaft braucht Grenzen, um Forschung und Lehre in Fachbereichen zu gliedern: Germanistik unterscheidet sich von Chemie – und Chemie von Sportwissenschaft. Usw.

Grenzen werden in erster Linie für räumliche Unterscheidungen benutzt: Es gibt Grundstücksgrenzen, die im Katasteramt festgehalten werden, Landesgrenzen, aber auch Grenzen in der kleinen Welt der Zelle bei Menschen, Tieren oder Pflanzen, ohne diese Zellgrenzen wäre kein Leben möglich.

Weniger scharf begrenzt sind die Grenzen im Bereich des sozialen Lebens. Aber auch hier gibt es sie: Angefangen bei der Familie bis hin zu sprachlich begrenzten Großgruppen, Regionen, Ländern oder Kontinenten. Nicht nur bei Menschen gibt es soziale Grenzen, auch in der Tierwelt gibt es diese: Man nennt sie dort „Reviere“.

Grenzen tauchen im sozialen Leben von Menschen auch auf als „Normen“, die man zur Erhaltung einer Zivilisation durchsetzen muss – und an die sich alle innerhalb einer sozial und politisch begrenzten Einheit auch halten sollten. Kinder müssen diese Normen mit zunehmendem Alter verinnerlichen und dabei diese Normen an veränderte Umwelten so anpassen, dass eine Gemeinschaft keinen Schaden nimmt. Diesen immer wieder schwierigen Prozess der Normenübernahme und Normenanpassung könnte man in Anlehnung an Peter Sloterdijk „Filiation“ nennen.

Genau hier möchte ich, ohne auf die wissenschaftliche Diskussion einzugehen, mit eigenen Erfahrungen ansetzen. Wer wie ich den Übergang von der Kindheit zum Jugendalter in den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts erlebt hat, der kann sich sicher an eine Zeit der „Jugendbewegung“ erinnern, die gegen eine überstrenge Erwachsenenwelt rebelliert hat: In der Musik, in der Kleidung, in der Kritik an der strengen Trennung von Frauen- und Männerrollen, im ganzen „Habitus“, also dem persönlichen Erscheinungsbild. Es war eine jugendtypische Form der „Entgrenzung“, die darauf ausgerichtet war, mehr Individualität zu erlauben. Unser Glück war damals, dass es eine Erwachsenenwelt gab, die stark genug war, dem Ansturm der Jugend standzuhalten und ihn institutionell zu integrieren.

Der Ansturm wurde aber nicht nur zivilisatorisch integriert, sondern in vielen Bereichen auch fortgeführt. In der Welt der Werbung wurden Symbole des Protests als Verkaufsanreiz genutzt, in Literatur und Kunst wurden neue Stilmittel ausprobiert und Grenzen erweitert (man denke nur an Videoinstallationen, neue technische Mittel in Theater und Film). Es scheint ja geradezu die Aufgabe von Literatur und Kunst zu sein, gewohnte Grenzen gedanklich zu überschreiten und Neues auszuprobieren.

Vor allem aber in der Wirtschaft wurden entgrenzende Veränderungen sichtbar, die durch technische Entwicklungen im Bereich Computer und die zunehmende Globalisierung möglich wurden – und durch die gesteigerte internationale Konkurrenz einer permanenten Beschleunigung unterliegen. Damit werden teilweise Erfahrungen noch innerhalb einer Generation entwertet, soweit sie technikrelevant sind.

Das Bankwesen wurde insofern „entgrenzt“, als – vor allem seit den 80er Jahren – der Investment-Bereich freie Hand bekam und enorme Möglichkeiten der Spekulation geschaffen wurden. Gewinne und Einkommen wurden zunehmend von Leistungen in der Realwirtschaft oder generell von Leistung entkoppelt. Man denke an die „Boni“ von Managern, die ins Astronomische gestiegen sind und unabhängig vom Erfolg gezahlt wurden.

Ich will meine Aufzählung hier beenden und auf ein Kernproblem kommen, das mich beschäftigt. Wenn auf so vielen Gebieten Entgrenzungen stattfinden, auf die aus der Welt der Erwachsenen nicht normativ reagiert werden kann, weil die meisten Erwachsenen selbst von Entwicklungen überrollt werden, die sie kaum verstehen, wie sollten dann Begrenzungen für nachwachsende Generationen geschaffen werden, die für die Fortsetzung unserer Zivilisation im rechtsstaatlichen Rahmen nötig wären? Gesetze alleine genügen hier nicht, denn das reale Leben bringt jeden oft in Grenzsituationen, in denen ein Gesetz keine Verhaltensvorgabe gibt. Entweder man kennt es nicht, oder bei der Abwägung von Vor- und Nachteil riskiert man auch ein gesetzlich nicht erlaubtes Verhalten. Und viele Lebensbereiche kann man gesetzlich nicht festlegen.

Die „Aufgabe“ von Kindern und Jugendlichen ist es zudem, Grenzsituationen auszuprobieren, Grenzen also real kennenzulernen. Der Gegendruck, den eine Zivilisation bieten muss, besteht in der Vorgabe von Normen, Gesetzen und dem Angebot erzieherischer Institutionen, die eine Verinnerlichung von notwendigen Verhaltensweisen und von ausreichendem Wissen über das fragile soziale Zusammenleben ermöglicht.

Jetzt stehen wir aber durch zunehmende Migrationsströme vor dem Problem, innerhalb einer langsam gewachsenen Gemeinschaft – egal ob lokal, regional, national oder länderübergreifend in Europa – Menschen aus fremden Kulturen einzubinden, die unter gänzlich anderen Normensystemen aufgewachsen sind und diese Normensysteme bisweilen eins zu eins beibehalten wollen. Zugleich erleben wir innerhalb unserem Kulturbereich einen Gegensatz von Gruppen, die unter dem Ideal der „Entgrenzung“ groß geworden sind und ihre großzügige Haltung zu allem Fremden auf der Basis von allgemeinen „Menschenrechten“ beibehalten wollen. Und auf der anderen Seite stehen Gruppierungen, die sich durch die Vielzahl der „Entgrenzungen“ infrage gestellt fühlen, auf die sinnvolle Antworten noch ausstehen.

Dass Grenzen oft überschritten werden müssen, lernt jedes Kind von Anfang an, denn dafür sorgt die Neugierde. Wie funktioniert dieses oder jenes? Wie verhalte ich mich in dieser oder jener Situation? Diese Neugierde wird auch, wenn alles gut geht, in der Zeit der Jugend und im Erwachsenenleben beibehalten. Zum Beispiel in der Schule oder in der Welt der Wissenschaft.

Grenzüberschreitungen werden aber gefährlich, wenn durch sie Mitmenschen (oder dem labilen Gleichgewicht der Natur) aus egoistischen Motiven ein Schaden zugefügt wird - oder wenn anderen nicht die gleiche Rechte gegönnt werden, wie man sie selbst in Anspruch nimmt. Hierzu geben vor allem die Artikel 1-19 des Grundgesetzes Auskunft. Und da diese Artikel in erster Linie vor „Grenzüberschreitungen“ von Seiten des Staates schützen sollen, musste der Schutz der Bürger vor Übergriffen anderer Bürger in verschiedenen Gesetzbüchern gesondert festgehalten werden.

Deutlich sieht man solche Grenzüberschreitungen in Diktaturen, die Militär, Polizeiapparat und die gesamte Exekutive im egoistischen Interesse einer kleinen Gruppe nutzen und Freiheitsrechte für Staatsbürger nicht zulassen. Zwangsmittel wie die verschiedenen Formen der Folter werden ungeniert angewandt, Grenzen der verschiedensten Art werden überschritten. Am Ende dient noch nicht mal die Körpergrenze, die Haut, als Schutz, denn die Folterspezialisten können heute ungeniert auf ärztliches Fachwissen zurückgreifen und Spuren der Übergriffe weitgehend beseitigen. (Auf die Welt der Geheimdienste kann ich hier nicht eingehen, denn für die gelten Sonderregelungen, die oft in einer Grauzone rechtlicher Regelungen angesiedelt sind.) Dann führen auch Kriege und Bürgerkriege zu Verhaltensweisen, die von den moralischen und normativen Grenzen einer zivilisierten Gesellschaft wegführen. Darüber berichten die Medien heute mehr denn je. Syrien, Irak oder Afghanistan liefern fast täglich neue Gräuel-Bilder.

Aber auch in Demokratien tauchen nicht selten moralische Grenzüberschreitungen auf. Egal wie gut die Gesetzgebung jeweils vorsorgt, es wird immer Fälle von Kriminalität oder Korruption geben. Über Kriminalität braucht hier nicht gesprochen zu werden, denn hier sind gefährliche Grenzüberschreitungen wie auch beim „Terror“ offensichtlich.

Korruption

Anders verhält es sich bei „Korruption“, also bei all den Fällen, in denen im Grunde gesetzestreue Menschen sich versteckt einen nicht legalen oder legitimen Vorteil vor anderen verschaffen. Beim Thema Korruption denken wir natürlich zuerst an Bestechung mit Geld oder mit hochwertigen materiellen Gegenständen aus der Warenwelt. Für eine bestimmte „Leistung“ wird eine Gegenleistung verlangt, die nicht öffentlich werden darf. Der so Bestochene macht sich natürlich vom Bestechenden abhängig, es entsteht eine gewisse Zwangsloyalität. Das kann harmlos sein, aber auch lebensgefährlich, wenn wir in die Welt der diversen Mafiagruppen blicken, die sich vor allem nach 1990 in Deutschland und Europa ausgebreitet haben.

Aber nicht nur geldwerte Leistungen können hierzu gerechnet werden. Bestechung kann auch über Anerkennungsleistungen in Gruppen funktionieren, denen man zugehörig sein will. Der Mensch ist ein Gruppentier und braucht soziale Anerkennung. Auch die Bedienung von Eitelkeiten kann bisweilen Korruption fördern, z.B. in der Wissenschaft oder in der Politik, wo z.B. mit Doktortiteln „gehandelt“ wird. Schlimm nur, wenn solche Grenzüberschreitungen an die Öffentlichkeit kommen.

Überhaupt ist „Öffentlichkeit“ ein wichtiges, wenn nicht das wichtigste Gegenmittel - neben der Gewissenbildung - gegen korrupte Grenzüberschreitungen. Wie sieht es aber heute mit der „Öffentlichkeit“ in der globalisierten Welt aus? Und wie mit der Gewissenbildung in multikulturellen Gesellschaften, in denen mehrere Kulturen miteinander konkurrieren?

Öffentlichkeit:

Öffentlichkeit war seit den frühen Formen in griechischen Stadtstaaten immer begrenzt durch die Grenze einer Gemeinschaft, innerhalb derer Kommunikation möglich war – oder durch die Grenzen einer gebildeten Schicht, die lesen und schreiben konnte. Was richtig und was falsch war, wurde in überschaubaren Gemeinschaften ausgehandelt. Dass dies heute nicht mehr möglich ist – oder allenfalls in wissenschaftlichen Fachkreisen -, das liegt auf der Hand. Die Globalisierung mit all den Möglichkeiten des grenzenlosen Handels, der grenzüberschreitenden Kommunikation von breiten Schichten, die heute lesen und schreiben können, hat eine neue Situation geschaffen. Die Form der Globalisierung wurde aber seit den 80er Jahren stark vom sogenannten „Neoliberalismus“ bestimmt, der Begrenzungen in der Wirtschaft und im Finanzwesen aufheben will und in der Entgrenzung menschlichen Handelns die Freiheit des schöpferischen Teils der Menschheit sieht. Hatte die westliche Jugendbewegung der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts in der Absetzung von der autoritären Vorgängergeneration mit ihren tastenden Entgrenzungsversuchen in Musik, Kunst, Wissenschaft und Lebensstilen noch den ganzen Menschen im Blick, hatte sie sich „Solidarität“ als grenzübergreifendes Ziel gesetzt, so reduzierte der Neoliberalismus den Menschen auf einen kreativen Wirtschaftsfaktor. Der Bessere setzt sich – wie auch immer - durch und schafft damit den Fortschritt. Damit wurde aber quasi eine Hintertüre in den westlichen Demokratien geöffnet, durch die sich der Kampf jeder gegen jeden eingeschlichen hat, vor dem schon Thomas Hobbes gewarnt hat. Aber nicht nur innerhalb von Staaten, die ihrer Schutzfunktion gegenüber den Bürgern schleichend beraubt werden, auch zwischen den Staaten selbst entsteht entgegen allem Freiheitsgeschrei der Neoliberalisten ein Kampf jeder gegen jeden. Das zeigt sich zurzeit innerhalb der EU, aus der Großbritannien austreten wird, das zeigt sich bei den Themen, die Trump in den USA bei der letzten Wahl gesetzt hat. Es geht ja schließlich in erster Linie um den produktiven Egoismus, besser zu sein als der andere – oder zumindest weniger Verluste zu haben, wenn eine Krise sich ankündigt.

Grenzüberschreitende Macht wächst zunehmend in privaten Großfirmen, deren Loyalitäten sich nicht an national lange ausgehandelten Schutzrechte binden lassen. Diese Großfirmen operieren zwischen den Staaten wie ein überdimensionaler Clan, dessen Mitglieder mit Sanktionen rechnen müssen, wenn sie aus der Reihe tanzen und Kritik an die Öffentlichkeit bringen, weil sie am Gemeinwohl interessiert sind. (Siehe Manager in Großbanken, bei VW usw.)

Nun entsteht aber eine Schicht von gebildeten Mitarbeitern, die alles, was der „Clan“ tut, d.h. alles, was im Firmeninteresse liegt, auch alles, was gegen das Allgemeinwohl geht, quasi „neutralisiert“. Man habe dies und das nur getan, um Arbeitsplätze (z.B. in der Waffenindustrie, in der eigenen Bank, in der Autofirma…) zu erhalten. Es werden Wissenschaftler und Journalisten „angefüttert“, um partielle Wirtschaftsinteressen in der Öffentlichkeit zu rechtfertigen. Vermittelt über den Lobbyismus wirkt dies natürlich auch auf Politiker ein, die ja eigentlich Vertreter des Allgemeinwohls sein müssten. Je länger sich nun dieses Zusammenspiel von Lobbyismus und Politik in einer vom Neoliberalismus geprägten Welt auswirkt, je öfter dabei „Neutralisierungen“ versagen und „Skandale“ an die Öffentlichkeit kommen, desto ungläubiger wird das „Publikum“, das in seiner Mehrheit noch auf einen Rechtsstaat vertraut, der das Allgemeinwohl vertreten soll. Vertrauen ist aber das Bindemittel in zivilisierten Staaten, ja langfristig auch in der Marktwirtschaft. Auch die Marktwirtschaft beruht, will sie erfolgreich sein, auf Vertrauen. Aus diesem Grund werden extrem korrupte Staaten, die den Bürgern und der Wirtschaft keine Sicherheit bieten, nie vertrauenswürdig und damit nie erfolgreich sein.

Dieses Vertrauen als sinnvoll darzustellen, das war schon immer die Aufgabe einer jeden „Elite“, egal ob man auf einen antiken Stadtstaat schaut oder auf spätere Territorialstaaten. Und es wäre auch heute die Aufgabe einer Elite in Wirtschaft, Politik oder Medien. Dafür bräuchte es eine funktionierende Öffentlichkeit. Mit der Globalisierung wird diese Öffentlichkeit zunehmend größer, zugleich aber auch parzellierter: Da ist zum einen die Öffentlichkeit der Lobbyisten, dann die der diversen ethnischen Gruppen, welche über Migrationsbewegungen staatenübergreifend zusammenhängen, dann die der kulturell oder religiös bestimmten Gemeinschaften, dann die der traditionsgebundenen regionalen Gruppen, welche sich in ihrer Stabilität bedroht sehen usw. Und neben all dem gibt es eine unüberschaubare Menge an virtuellen Gruppen, die sich auf beinahe chaotische Weise im Internet äußern, in einem Internet, in dem ein sinnfreier Beitrag gleichberechtigt neben einer Hassbotschaft oder einem sinnvollen Beitrag stehen kann.

Nun ist aber das knappste Gut auf dieser Erde der „Sinn“. Nicht jeder ist in der Lage, ihn sich selber zu suchen, obwohl alle ihn in ihrem Leben brauchen. Die meisten Menschen sind nun mal Mitläufer – und je nach Situation bin ich es auch. (Z.B. als Teil des Publikums bei einem Fußballspiel). Die Sinnfindung hängt ja immer auch von Situationen und genialen Einfällen ab, die man zwischendurch mal haben sollte. Damit auf optimale Weise in einer Gesellschaft ein vertrauensschaffender „Sinn“ gesucht werden kann, braucht es eine freie Öffentlichkeit, für die ein Staat Regeln und Grenzen schaffen muss (z.B. gegen egoistische Machtinteressen einzelner oder solche von Großfirmen oder Clans). Zum anderen müssen sich aber auch die „Sinnsucher“ an Regeln der Fairness halten, die einen Dialog von gleich zu gleich ermöglichen. Dies ist z.B. in der Anonymität des Internets nur schwer möglich, da hier der Mitspieler zu abstrakt ist, keine wirkliche Begrenzung durch Blicke und Gesten andeutet. Dies ist aber auch in ethnisch und kulturell stark separierten Gruppen nur schwer möglich – es sei denn starke Persönlichkeiten schaffen sinnvolle Verbindungen. Kulturelle Unterschiede können kreativ genutzt werden, wie man z.B. im Filmgeschäft, in der Literatur, aber auch in der Wirtschaft beobachten kann; sie können aber Sinnfindungen auch erschweren. So kann jemand aus einer Großfamilie oder einer Dorfgemeinschaft eines Entwicklungslandes, in der eine Clan-Kultur herrscht, finanziell unterstützt werden, sodass er oder sie durch Ausbildung und Fleiß in eine hohe Position seines Landes oder eines hochentwickelten Industrielandes gelangt. Dann aber muss er oder muss sie „zurückzahlen“, muss Personen aus dem Fördererkreis bisweilen in Positionen bringen, für die sie nicht qualifiziert sind, aber ein gutes Gehalt kassieren. Auf verschiedenste Weise kann dann Druck auf jemand ausgeübt werden, der die Freiheit des Aufsteigers weitaus mehr einschränkt als dies z.B. bei der Rückzahlung einer „Bafög“-Förderung möglich wäre. Die Clan-Kultur ist mit einer demokratischen Kultur nicht kompatibel. (In einer abgewandelten Weise gibt es solche im Kern „korrupten“ Verhältnisse aber auch bei uns, d.h. in entwickelten Industriestaaten. Unter dem Einfluss des Neoliberalismus nehmen sie sogar zu.)

In dieser Gemengelage, in der durch den Aufstieg des Neoliberalismus der öffentliche Blick auf den Wirtschaftsegoismus verengt worden ist, ist beinahe parallel dazu das ebenso verengte Sinnangebot verschiedener Fundamentalismen gewachsen, die eine ähnliche Art von Fastfood-Sinn anbieten: Leicht verständlich, schnell konsumierbar. Vor allem irgendwie beleidigte Jungmänner sind hier leicht ansprechbar. Aber nicht nur sie. Die klassischen Medien der Zeitungen, der Bücher und die Welt der Bildungsinstitutionen erreichen nur noch einen Teil der Öffentlichkeit. In dieser Teilöffentlichkeit ist man sich noch der Schwierigkeiten bei der Aufrechterhaltung der Zivilisation bewusst. Für den Rest werden die „schnellen Lösungen“ attraktiv, die mit Gewalt, Zwang oder Bestechung verbunden sind. Auch hier werden – wie beim Lobbyismus – schnell „Neutralisierungen“ geschaffen, wenn es gilt, böse und gemeinwohlschädliche Taten zu rechtfertigen. Zur Not muss ein „Gott“ herhalten, den man sich zurechtfantasiert: Ein „Mac-Gott“, also Fast-Food!

Extremistische Formen der „Aufklärung“ reduzieren den „Sinn“ zumeist auf wenige Aussagen. Das wurde schon Kant am 5. Dezember 1793 in der „Berliner Monatsschrift“ in folgendem kleinen Gedicht entgegengehalten:

Ein Affe steckt einst einen Hein

Von Zedern nachts in Brand

Und freute sich dann ungemein,

als er’s so helle fand.

Kommt Brüder! Seht, was ich vermag‘

Ich, ich verwandle Nacht in Tag.

Die Brüder kamen, groß und klein,

bewunderten den Glanz.

Und alle fingen an zu schrein:

Hoch lebe Bruder Hans!

Hans Affe ist des Nachruhms wert,

er hat die Gegend aufgeklärt!

Wer möchte da nicht an die Vertreter des fundamentalistischen IS, die das Erbe der Menschheit vernichten, oder an die des Neoliberalismus denken, die das Gleiche auf andere Weise tun?

(wird fortgesetzt)