Nayirah

Auszug aus „Die Maske“ (Roman, von Fuminori Nakamura. Diogenes-Verlag, 2018, S. 208-2011)

„Ich bin im Rüstungsgeschäft«, brach er endlich das Schweigen, mit einer Stimme so leise, dass sie kaum zu hören war.

»Und du wirst für mich arbeiten.«

»Warum?«

»Weil ich es so will.«

Er seufzte. Sein milchiger Blick schien auf etwas hinter mir gerichtet.

»Kennst du die Geschichte von dem Mädchen Nayirah?«

»Ich glaube nicht.«

Er stellte das Glas auf den Tisch und begann, fast quälend langsam zu erzählen.

»Im Jahr 1990, nachdem der Irak unter Saddam Hussein ins benachbarte Kuweit einmarschiert war, wurde ein junges Mädchen aus Kuweit gebeten, vor dem Menschenrechts­komitee des US-Kongresses als Zeugin auszusagen.«

Sein Gesicht zeigte keine Regung. Nur die dicken Lippen bewegten sich.

»Sie erzählte, wie brutal die irakischen Soldaten bei der Invasion vorgegangen seien. So hätten sie in einem Kranken­haus zu früh geborene Babys aus den Brutkästen genommen und diese auf dem nackten Boden sterben lassen. Amerika, ja, die ganze Welt war entsetzt und zitterte vor Wut über die Barbarei. Um die irakischen Truppen aus Kuwait zu ver­treiben, wurde unter Führung der USA ein Militärbündnis geschmiedet, das schließlich einen Luftkrieg auslöste - den Zweiten Golfkrieg.«

Halb auf dem Sofa liegend, hielt er mit matter, eintöniger Stimme seinen Monolog.

»Erst nach dem Krieg stellte sich heraus, dass Nayirahs Schilderungen nichts als eine Lüge waren. In Wahrheit war sie die Tochter des kuweitischen Botschafters in den USA und ihre Story von A bis Z die Erfindung einer amerika­nischen PR-Agentur. Ein Riesenskandal, über den weltweit berichtet wurde.«

Er seufzte, als langweilte ihn die Geschichte, und streckte seinen Arm nach der Whiskyflasche aus. Ich hatte keine Ahnung, was das alles sollte.

»Im Wesentlichen gibt es zwei Möglichkeiten, Geld zu verdienen. Die eine ist, ein attraktives Produkt oder Dienstleistungsangebot zu entwickeln und es gegen das Geld in den Taschen der Leute zu tauschen. Die zweite, Geld dem Staat abzupressen, das er in Form von Steuern seinen Bür­gern genommen hat. Der zweite Weg ist meistens lukrativer. Ich erkläre dir nun an einem einfachen Beispiel, wie Kriege funktionieren.«

Wie gebannt starrte ich immer wieder auf das riesige Bild an der Wand, während sein Monolog kein Ende nehmen wollte.

»Stell dir ein kleines Land in Afrika vor mit Bodenschät­zen wie Kupfer und Diamanten. Die großen, reichen, mäch­tigen Länder wollen sich natürlich die Schürfrechte sichern, doch der König des kleinen Landes weigert sich. Die großen Länder versuchen also heimlich, die dem König feindlich gesinnten Kräfte zu einen, und lassen sie eine Rebellen­armee gründen. Dann starten sie zu Hause einen Propagan­dafeldzug, in dem behauptet wird, der König unterdrücke sein Volk und nehme ihnen jede Freiheit. Sie schicken eigene Soldaten, um die Rebellen zu unterstützen, oder schleusen private Unternehmen ein, die den Job übernehmen. Viele der neueren Kriege sind privatisiert worden. Es gibt Firmen, die den Transport von Soldaten ins Kriegsgebiet organisieren; Firmen, die Soldaten mit Waffen, Zelten und Essen ver­sorgen; Firmen, die Rebellen ausbilden und ihnen strategi­sches Know-how liefern. Diese Privatfirmen sind meist von ehemaligen Offizieren gegründet worden, die, wie sich von selbst versteht, gute Kontakte zu Politikern und Beamten des Verteidigungsministeriums haben. Im Namen der interna­tionalen Zusammenarbeit werden sie mit Steuergeldern der reichen Länder finanziert sowie mit Geldern der Rebellen.

Natürlich sind die Rebellen eines afrikanischen Klein­staates alles andere als reich. Wie kommen die also zu ihrem Geld? Ihren hochmodernen Waffen? Ganz einfach, indem sie den multinationalen Minengesellschaften Schürfrechte zusichern, sobald der König gestürzt ist. Krieg ist ein Bom­bengeschäft. In jedem Krieg geht es auch um wirtschaftliche Interessen. Wenn du genau hinsiehst, ist da immer jemand, der profitiert. Und auch wenn der Krieg zu Ende ist, geht es weiter. Internationale Firmen übernehmen den Wiederauf­bau der zerstörten Häuser, der Infrastruktur und so weiter. Auch das finanzieren letztlich die Steuerzahler der reichen Länder, als Zeichen der Freundschaft, wie es so schön heißt. Das Ganze ist ein abgekartetes Spiel zwischen Politikern, hochrangigen Beamten und Großunternehmen, die in ge­genseitiger Absprache die Steuertöpfe ihrer Länder melken und den kleinen Ländern ihre Rohstoffe und Bodenschätze rauben.

Aber ich bin noch nicht fertig. Nach Kriegsende ge­hen Non-Profit-Organisationen aus aller Welt in die ge­schundenen Länder, um den Menschen zu helfen. Es ist schwierig und gefährlich, mitten im Chaos Hilfe zu leisten. Also müssen die npos, ob sie wollen oder nicht, Leute an­heuern, die für ihre Sicherheit sorgen. Auch wer aus einem lauteren Motiv heraus handelt, wird zu Zugeständnissen gezwungen und verschafft gewissen Firmen gewisse Kon­zessionen. Egal, was man tut, es lässt sich nicht vermeiden. Ebendeshalb werden Kriege geführt - um Konzessionen zu gewinnen, um sich einen möglichst großen Teil vom Kuchen abzuschneiden. Durch die ganze Menschheitsgeschichte hindurch hat das Kriegen und Morden stets die Wirtschaft befeuert. ….“