Konflikte mit Hofbediensteten, Bürgern und Juden

Der Alltag der Studenten war meist nicht von großen Gedanken, sondern von sehr Banalem bestimmt. Schon am 24. November 1396 mußte ihnen verboten werden, die Tauben der Bürger zu jagen; wer sich auch nur ein wenig ins Uni-Archiv vertieft, der findet noch eine Menge anderer Verbote dieser Art. Den ersten sogenannten "Studentenkrieg" gab es 1406 in Heidelberg. Er entstand aus geringer Ursache, einem Streit zwischen Hofleuten - die auch Waffen tragen durften - und Studenten auf offenem Markt, der schließlich zum gewaltsamen Sturm der Hofleute (um die sich einiges Volk aus der Stadt gesammelt hatte) auf das Haus des Rektors führte, wo zahlreiche Studenten wohnten und Schutz gesucht hatten. Mit Axt, Schwert und Lanze bewaffnet, waren die Eindringlinge auf die fliehenden Universitätsangehörigen losgegangen. Jeder, der mit geschorenem Kopf, Barett und langem Talar ("Langmäntel") herumlief, wurde verfolgt, und im Hause des Rektors spielten sich wüste Szenen ab. Die ganze Stadt war in Aufruhr. "Tumultus" wurde dieser Zustand jetzt immer wiederkehrend in den überlieferten Senatsprotokollen der Universität genannt. Verstöße dieser Art gegen Universitätsrecht wurden zwar hart bestraft, sorgten aber jeweils noch lange für Mißstimmung bei den Universitätsangehörigen.

Am Abend des 5. Juli 1422 griffen nun Leute aus dem kurfürstlichen Hofgesinde gepanzert und bewaffnet die Burse (Wohn-und Arbeitsgemeinschaft) des Magisters Heinrich in der Judengasse (heute Dreikönigsstraße) an. Sie plünderten das Haus und verfolgten die Bewohner unter der Androhung, sie totzuschlagen. Die sich der Jagd anschließenden Bürger riefen, es sei heilsamer, Studenten und Pfaffen zu erschlagen, als "Hussiten", also die Anhänger des Jan Hus, der 1415 (unter unrühmlicher Beteiligung des Kurfürsten) in Konstanz verbrannt worden war. Gegen dessen Anhänger hatte der Papst eben zum Kreuzzug und der Kaiser zum Reichskrieg ausrufen lassen. 1421/22 fand tatsächlich der erfolglose Reichskrieg gegen die Hussiten statt.

Wie bei den meisten Heidelberger "Studentenkriegen" ist auch 1422 von keinem Toten zu berichten. Das soziale Leben im kleinstädtischen Heidelberg war wohl doch nicht so spannungsreich wie das in den größeren Handelszentren.

Weniger gefährlich und prinzipiell, wenn auch oft sehr handgreiflich, waren die Auseinandersetzungen, die nur zwischen Bürgern und Studenten stattfanden. Durch alle Jahrhunderte hindurch berichten die Jahrbücher der Universität vom ausufernden Treiben der Scholaren, die Tag und Nacht durch die engen Gassen lärmten, die Stadtwachen hänselten, abends betrunken die noch zum städtischen Panorama gehörenden Schweine jagten, ihren Verehrten ein Ständchen brachten oder in die Gärten und Weinberge einbrachen.

Schließlich wurde den Studenten vom Beginn der Dämmerung an das Waffentragen verboten. Im Dunkeln - damals gab es noch nicht einmal Gaslaternen - durfte man nur noch unvermummt und mit einem Tragelicht außer Haus. Dazu kamen allmählich immer mehr Einzelverbote, die so speziell auf den jeweiligen Fehltritt eingingen, daß sich schlaue Studenten schnell Verbotsumgehungen ersannen: Mond und Sterne galten ihnen als Beweis, daß man nicht "ohne Licht" auf die Straße gegangen sei; oder man verbarg die vorschriftsmäßig mitgebrachte Laterne unter einem weiten Mantel... War nächt1icher "Gesang zur Laute" untersagt, so nahm man eben ein anderes Musikinstrument. Durfte man in Heidelberg nicht feiern, so ging man eben in das benachbarte Handschuhsheim, wo man bei dem sogenannten "Rolloß"-Fest nicht selten mit den dortigen Bauern in Händel geriet.

Man sieht, das Leben in Heidelberg war schon immer stark durch die Universität geprägt, - im Positiven wie im Negativen. Es darf nicht vergessen werden, daß schon Ruprecht II., der Neffe des Universitätsgründers, 1390 die wenige Jahrzehnte zuvor nach Heidelberg gerufenen tüchtigen Juden einfach enteignete und aus der Stadt werfen ließ, um an deren Eigentum zu gelangen und Geld und Raum für die Universität zu bekommen. Die Synagoge in der Judengasse (bei der heutigen Weinhandlung Baumann gelegen) wurde in eine Marienkapelle umgewandelt, in der auch Vorlesungen abgehalten wurden. Dem Wortlaut der Übereignungsurkunde folgend sollten die Judenhäuser in den Besitz der Universität kommen. Tatsächlich erhielt die Universität aber nur die Synagoge und die beiden Häuser in der Judengasse, die später die "Schwabenburse" wurden. Alle anderen jüdischen Häuser kamen in den Besitz des Hofes und des Hofadels. Das kurzfristige Interesse des Hofadels, der Blick auf die von der Universität gestellten Fachleute und die über die Universität in die Stadt strömenden Devisen (es gab im damaligen Deutschland diverse Währungen) trübten hier den Blick für die langfristige gewerbliche Entwicklung der Stadt und für humane Rücksichten. Die Juden hatten sicher mit dazu beigetragen, daß die Stadt sich dermaßen entwickelte, daß sie schließlich 1392 nach Westen bis zur heutigen Sofienstraße hin erweitert werden mußte.