Grenzen III

Vorweg: Ich möchte die netten Freunde, die ich unter den hier lebenden Türken, den Deutschen mit türkischen Wurzeln und den Russlands-Deutschen gefunden habe, nicht missen. Sie gehören zu Deutschland, sind eine Bereicherung. Also alle Versuche, hier künstlich Grenzen aufzubauen, sind m.E. künstlich erzeugte Spaltereien.

Und mal ehrlich: Wollen oder könnten wir wirklich auf all die fleißigen Menschen mit ausländischen Wurzeln verzichten, die sich hier eingelebt haben? Sie stabilisieren unsere Wirtschaft und bringen Leben in die Bude. Und auch die kulturellen Gruppenbildungen sind an sich keine Bedrohung. "Clans" oder clanähnliche Strukturen gibt es auch in der deutschen Tradition. Man nehme nur die "Burschenschaften" oder die inzwischen über 50 "Verbindungen", die es für Studentinnen gibt. So etwas muss eine Gesellschaft tolerieren. Und mit all den verschiedenartigen Traditionen, die wir in Deutschland haben, sollten wir das können.

Die Gefahr der Spaltung ist m.E. nur deshalb so akut geworden und schürt Ängste, weil wir uns nach dem Desaster des Dritten Reiches so klein gemacht haben und uns nur wegducken, in Europa oder einer imaginierten Weltgesellschaft auflösen wollen. Wenn wir nach vorne blicken, dann haben wir hier doch eine Menge integrative Kräfte zu bieten, die vor allen Dingen über die Reaktivierung unseres Bildungsideals laufen könnte. Das ist sicher nicht ganz so einfach, denn intelligente Menschen werden heute eher dorthin ziehen, wo eine fachspezifische Ausbildung auch ein gutes Einkommen verspricht – und dabei erscheint Bildung eher als Zeitverlust oder Handicap. Vorbilder im Hinblick auf Bildung findet man heute eher in der Vergangenheit. In der Gegenwart haben Vorbilder generell eine kurze Halbwertszeit: Im Sport, in der Politik, in der Wirtschaft und auch im Bereich der Religionen. Kaum jemand wird bestreiten, dass Korruption und Heimtücke schlechte Eigenschaften sind. Diese Eigenschaften erscheinen aber zunehmend als der Normalfall. Und natürlich sind die großen Firmen oder Kapitalgesellschaften, die keine Steuern zahlen, aber gutes Geld verdienen, korrupt - und stecken andere mit Korruption an. Korruption widerspricht aber einer überall vorhandenen und niemals wegzuredenden Idee der Gerechtigkeit, die auch dann weiterlebt, wenn sie zeitweise unterdrückt wird. Und jede Elite unter zugewanderten Menschen wird mitziehen, wenn wir das selbst einmal wieder offensiv und mutig vertreten. Also, warum nicht mal gegen alle realen Trends wieder auf Optimismus setzen?

Im Jahre 1977 ist im Wagenbach-Verlag ein Buch erschienen mit dem Titel "Freiheit heilt". Es war damals eine Zeit des Aufbruchs und z.T. auch der Illusionen. Aber ohne ein bisschen Aufbruch und ein wenig Illusion, die dabei ins Spiel kommt, steigt der Pegel an Feigheit und Angst in einer Gesellschaft. Feigheit und Angst führen aber dazu, dass man reale Entwicklungen, heranschleichende Gefahren lieber verdrängt als ins Visier nimmt. Man könnte aber auch sagen: "Wahrheit heilt!". Vielleicht ist es noch nicht so weit, dass der "Zeitgeist" wieder in diese Richtung, also zum Optimismus und zum offenen Wort hin kippt. Ohne diesen Optimismus werden sich in einer zunehmend multikulturellen Gesellschaft die einzelnen Gruppen ängstlich voneinander abgrenzen und ihre jeweiligen Sonderwege ausbauen. Vielleicht versuchen einige die größere Ehrlichkeit von anderen als Naivität zu sehen - und bauen auf machtbasierte Utopien, die am Ende eher auf Dystopien rauslaufen. Also die Einigung von "oben" mit Zwangsmittel, die neueste Techniken ermöglichen. Das wäre ja heute denkbar, wo die Erfassung aller Menschen über Kaufverhalten, Mediennutzung und Bewegungslinien im Verkehr möglich scheint. Wieso sollte es heute nicht auch wieder Menschen geben, die neueste Techniken für Machtinteressen und Machterweiterung auf Kosten anderer ausnutzen? So etwas geht aber in der Regel, also nach allen Erfahrungen in der Geschichte, am Ende schief. Dafür liefert die europäische Geschichte immer wieder gute Beispiele. Es gibt einfach zu viele "Selbstdenker", die nur über Einsicht funktionieren und nicht über Zwang. Und Machtgewinne müssen spätestens gegenüber der nächsten Generation und gegenüber der nachwachsenden Bildungselite wieder legitimiert werden. Jegliche Wissenschaft, die auf der von Kindheit an entwickelten Neugierde baut, lebt von Einsicht und von der Utopie, dass es so etwas wie "Wahrheit" geben muss. Nur: Um die Wahrheit muss immer neu gekämpft werden. Und dafür werden in der Erziehung und der Ausbildung in einer industrialisierten Gesellschaft, will sie überleben, immer wieder Grundlagen gelegt. Später, in der Welt der Erwachsenen, braucht es dann die freie Öffentlichkeit, eine freie professionelle Presse und öffentlich-rechtliche Medien, die nicht erpressbar sind von Politik und Wirtschaft. Gebildete Menschen wollen immer wieder wissen, was wirklich der Fall ist – auch wenn dies der aktuellen Gefühlslage mal widerspricht.

Vielleicht haben die vielen Kriege und Bürgerkriege, die in unterentwickelten Gesellschaften geführt werden, unser Wissen über kulturellen Fortschritt verschüttet. Vielleicht haben dies auch der Ausbau der Geheimdienste, Ihr Machtgewinn und ihr andauernder Blick auf die Gefahren des Terrorismus - oder die aus mafiösen Strukturen stammende Denkweise der Steuerung über Gewalt? Vielleicht hat uns auch die wachsende Konsumkultur die Sicht vernebelt, aber der Weg zurück in bildungsbasierte Vorstellungen von einer besseren Zukunft ist m.E. immer noch offen. Man darf sich nur nicht wegducken und gegenüber totalitären Entwicklungen kuschen, die auch in unser Land reichen. Und mit "man" meine ich all die verschiedenen Eliten, die in jeder größeren Gemeinschaft innerhalb einer Gesellschaft vorhanden sind. Und der große Teil der "Mitläufer" würde mitmachen, wenn es wieder so etwas wie eine Bildungselite gäbe, keine Fachidioten, sondern gut gebildete und neugierige Menschen, die über mögliche Fehlentwicklungen in der langen menschlichen Geschichte Bescheid wissen.

(wird fortgesetzt...)