Die Universität zwischen Mittelalter und Neuzeit

In dem Aufsatz "Die Aktualität des Mittelalters", der 1987 erschienen ist und Ende 1986 in einer Vorveröffentlichung des C.H. Beck-Verlages ("Einladung ins Mittelalter", S. 24 - 34) abgedruckt wurde, schreibt der Historiker Thomas Nipperdey:

"Mit der mittelalterlichen Christlichkeit hängt zusammen, daß Bildung und Wissenschaft, institutionalisiert in der Universität, zu einer fundamentalen Struktur Europas geworden sind... Universität und Wissenschaft hängen in unserer europäischen Tradition eng zusammen, und die moderne Wissenschaft ist ganz zweifelsohne eine der primären Grundlagen unserer Welt. Zunächst: Die Universität ist entstanden in dem mittelalterlichen System von Privilegien, Freiheiten und Immunitäten. Sie war eine eigenständige Organisation zwischen politischer Herrschaft und organisierter Kirche, zwischen 'imperium' und 'sacerdocium', und insofern dem politischen und gesellschaftlichen, relativ auch dem kirchlichen Druck entzogen, relativ autonom, vielfältig und unterschiedlich, international über alle Herrschaftsgrenzen hinwegreichend. Die Autonomie und Vielfalt dieser Institutionen war eine der Grundlagen für die relative Freiheit und Vielfalt der Wissenschaft. Daß es solche Institutionen gab, ist ein Kerntatbestand der Neuzeit und ist wiederum unmittelbar Erbe des Mittelalters...

Kultur wird ein eigener Bereich der Welt. Fundamentaler noch, das Mittelalter begründet die Rolle von Schule und Buch, Lesen und Schreiben, die für die moderne Welt so konstitutiv ist. Und dazu gehört - wiederum unerhört wichtig - die Entwicklung einer eigenen Klasse der Gebildeten, aus dem Klerus zunächst und der Universität, die dann bei den Juristen zuerst über den Klerikerstand hinausreicht, dann die Beamten und die freien Berufe hervorbringt, von der Herkunft her die wichtigste Gruppe sozialer Mobilität (von unten nach oben), und zugleich ein Potential der Veränderung, weil diese Klasse, nicht mehr in die rituelle Erhaltung der Tradition eingespannt, aber zugleich der Rationalität verpflichtet war." (S.29/30)