Freizeit im Mittelalter

Ein Arbeitstag im Mittelalter reichte von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang und war daher im Winter kürzer und im Sommer länger. Jeder Sonnenstrahl mußte genutzt werden. Viel Zeit für Müßiggang gab es nicht. Tagaus, tag­ein, die gleiche Arbeit und Mühsal. Fernsehen oder Freizeitgestaltung gab es noch nicht. Das Angebot an Abwechslung war gering. Jede Form, Ab­wechslung in den Alltag zu bringen und Zerstreuung zu finden, wurde dankbar angenommen. Trotzdem muß man sich das Mittelalter nicht gar so arbeitsreich vorstellen, wie es landläufig üblich ist. Verschiedene Untersuchungen haben ergeben, daß ca. 1/3 des Kalenderjahres Fest- und Feiertage gewesen sind, Sonntage eingeschlossen.

1.) Feste

Neben den üblichen Sonntagen, an denen die Arbeit ruhte, gab es noch unendlich viele andere Fest- und Feiertage, die alle in irgendeiner Form hauptsächlich religiös bestimmt waren.

- Feste des Heiligenkalenders:

Diese Feste waren oft mit vorchristlichen Riten vermischt. Da gab es traditionelle Speisen wie an Ostern Eier- oder Mandelkuchen und den Lammbraten.

Bei den Prozessionen wurden oft Tiersymbole verwendet, die ihre Wurzel in vorchristlichen Traditionen hatten.

In Heidelberg und in der gesamten Kurpfalz war das Sommertagsfest am 24. Juni, dem Johannistag, von besonderer Bedeutung. Der Ursprung des Fests liegt im altgermanischen Fest der Sommersonnenwende, bei dem die Germanen Menschen und Tiere als Brandopfer brachten. Die Sonnenwendfeuer wurden später christlich zu Johannisfeuern umgedeutet, nach Johannes dem Täufer, der Leuchte der Menschheit - und so bürgerte sich in Heidelberg der Brauch ein, in der Nacht der Sommersonnenwende große Feuer ahn Neckarufer anzuzünden und im Reigen um diese Feuer zu tanzen.

- Handwerkerfeste:

Hier wurde der heilige Patron einer Zunft gefeiert. Die entsprechenden Straßen (ein Handwerk wohnte meist in einer bestimmten Straße beisammen) und Viertel wurden festlich geschmückt. Der Gottesdienstbesuch gehörte wie bei jedem Fest auch hier dazu. Höhepunkt war eine Prozession durch die ganze Stadt. Für Heidelberg sind solche Handwerkerfeste erst ca. ab dem 17. Jahrhundert belegt, was nicht heißen soll, daß es nicht vorher schon solche Feste gegeben hat. Die Zunftbräuche waren bei jedem Hand­werkerfest anders. Bei den Buchdruckern ("Schwarzkünstler") wurden die Gesellen in einen Holzzuber getaucht, der "Butt" genannt wurde. - weltliche Feste:

Immer wieder versuchten die Fürsten, ihre Untertanen an ihnen bedeutsa­men Begebenheiten, teilnehmen zu lassen. Krönung, Geburt, Tod, Hochzeit oder auch Vertragsabschlüsse wurden sowohl bei Hof als auch in der Bevölkerung festlich begangen.

So hat der Pfalzgraf Friedrich den Heidelberger Bürgern ein Fest zur Erinnerung der siegreichen Schlacht bei Seckenheim gestiftet. Er verfüg­te, daß "zu ewigem Gedächtnisse des Sieges, welchen ihm der Allmächtige wider seine Feinde verliehen, alljährlich am Sonntag nach Peter und Paul ein feierlicher Umgang der Geistlichkeit und Bürgerschaft von der Stiftskirche hinaus nach St. Peter und also wieder zurück zur heiligen Messe" (1) stattfinden solle.

Den höchsten festlichen Glanz erlebte Heidelberg im Jahre 1481, als Pfalzgraf Philipp ein großes Ritterturnier veranstaltete, das 5 Tage währte und Tausende in die Stadt zog. (2)

Anläßlich der Hochzeitsfeier des Winterkönigs am 14. Februar 1613 sind folgende festliche Aktivitäten überliefert:

"Ein überaus lebhaftes Treiben entfaltete sich auf dem Flusse selbst. Mitten im Wasser standen zahlreiche Häuschen, und Fischer fuhren mit ihren Nachen daran vorbei, um mit Spießen die Türen der Häuschen zu treffen. Gelang der Stich, so öffnete sich die Tür und ein Huhn flog heraus. Nicht selten freilich verloren die Speerwerfer das Gleichgewicht, um so mehr als sie 'zuvor auß Churfürstlicher Begnadigung ziemlich in den Weingläsern gestochen.' Auch Gänse hingen, mit den Füßen an Stricke gebunden, über dem Spiegel des Stromes, 'welchen die wasser­süchtigen Thurnierer die Hälß abreißen sollten'. So doch viel Gefahr genommen; denn mancher darüber zeitlich im Neckar gelegen. Damit sie des Badens nicht überdrüssig, war einem jeden, so den Hals von der Gans abgerissen, ein halber Daler zum Besten geordnet." (3)

Man kann sich leicht vorstellen, mit welchem Vergnügen die Bürger diesem Schauspiel zuschauten und ihre Favoriten anfeuerten. Der Höhepunkt war am Abend: ein großes Feuerwerk auf dem Neckar zu Ehren des Winterkönigs. Manche Kurfürsten veranstalteten Soldatenspiele wie "Christen gegen Hei­den", um die Armee in Friedenszeiten zu üben und zum Amüsement. Auf dem Heidelberger Schloss fanden Theateraufführungen im "Dicken Turm" statt.

- Familienfeste:

Zäsuren des Lebens wie Geburt, Tod, Hochzeit wurden immer groß gefeiert, und zwar nicht im engen Familienkreis, sondern öffentlich; Nachbarn und Zunftmitglieder nahmen fast immer daran teil.

- Karneval/Fasching:

Er hatte im Mittelalter, ähnlich wie heute, eine besondere Bedeutung. Verkleidung und "völlige Sittenfreiheit" ließen Bettler zu Königen, Männer zu Frauen werden. Was sonst verboten war, war nun für kurze Zeit erlaubt. Der Karneval diente so als Ventil gegenüber den Zwängen der sonst eher rigiden Normen der ständischen Gesellschaft.

- Sonstige Feste und Spiele:

In einer typischen Residenzstadt wie Heidelberg überwiegen bei den Festen verständlicherweise die bürgerlichen Elemente.

Im Stadtgraben entlang der Grabengasse fand alljährlich das von der Obrigkeit geförderte Armbrustschießen statt, an dem nur Bürgerliche teilnehmen konnten. In der Regel schoss man auf Scheiben oder irgendwelche Nachbildungen. Die Sieger wurden mit großen Trinkgelagen ("Schützenfest") gefeiert.

Am Affen des Alt-Heinrichsbaus fand das Nackenhakeln statt. Bei diesem "Kraftmeierspiel" bekamen die beiden Kämpfer ein Tuch um den Nacken ge­bunden und mussten sich ähnlich wie beim Fingerhakeln gegenseitig auf die andere Seite herüberziehen.

Eine Nachahmung des Ritterturniers war nicht nur das Fischer- oder Schif­ferstechen, sondern auch das "Kübelstechen". Bei diesem Volksvergnügen wurden aus Holzkübeln Helme gemacht, auf diese Gesichter aufgemalt und zwei Augenschlitze ausgesägt. Mit diesen Holzkübeln geschützt und auch sonst überall gut gepolstert stiegen die Bürger auf schwere Ackergäule und versuchten sich mit Holzstangen gegenseitig herunterzustoßen. (4) In Handschuhsheim fanden alljährlich Flurprozessionen während der Bitt­woche statt. Im Zusammenhang mit dieser Flurprozession kam es zu solch "unziemlichen Begleiterscheinungen", dass die Universität Heidelberg den Studenten am 29. Mai 1423 verbot, am Rolloß in Handschuhsheim teilzunehmen und die Kirchweihe innerhalb einer Meile im Umkreis von Heidelberg zu besuchen. Das Wort "Rolloß", nach dem ein Handschuhsheimer Weg benannt wurde, stammt vermutlich von "rollzen" = lustig sein bzw. von "Geroll/Geröll" = lustiges Gelage ab. Darüber hinaus bedeutete "Rollzeit" = Brunstzeit und "rollzen" = buhlen. In manchen Odenwaldtä­lern gab es noch im vorigen Jahrhundert Fruchtbarkeitszauber, bei denen sich Jungen und Mädchen die Wiesen herunterrollten, damit es ein gutes

Heujahr gäbe. Vermutlich fanden solche Bräuche im Rahmen der in der Bittwoche abgehaltenen Flurprozession auch im Bereich des Handschuhshei­mer Rolloßweges statt. (5)

Wie bereits zu Anfang erwähnt standen alle Feste in irgendeiner Weise im Zeichen der Kirche. So war das Kernstück eines jeden Feiertags der Gottesdienstbesuch. Ebenso gehörte zu einem Feiertag eine festliche Kleidung. Das konnte eine besonders schöne Haube oder ein besonders schön gefärbtes Wams sein.

Sehr wichtig war auch ein gutes Festtagsessen. Da gab es Wein, Weißbrot, verschiedene Sorten Braten, Pasteten und Gebäck. An normalen Tagen war die Nahrung eher bescheiden. Sie bestand aus Hafer- Gerste- oder Roggenbrot. Weißbrot galt als Herrenspeise. Wer es sich leisten konnte, hielt sich Tiere, um seinen Fleischbedarf zu decken. Ihr Fleisch wurde geräuchert oder gepökelt aufbewahrt. Billiges Nahrungsmittel waren Fische aus dem Neckar. Den Bedarf an Obst und Gemüse deckte man oft aus dem eigenen kleinen Garten. Getrunken wurde viel Wasser, aber auch Bier und Wein.

Alle diese Feste hatten für die mittelalterliche Bevölkerung eine große Bedeutung. Zum einen ermöglichten sie einen Schritt aus der Gleichförmigkeit und der Mühsal des Alltags. Sie boten Gelegenheit zu physischer und psychischer Entlastung. Für kurze Zeit konnte man die Alltagssorgen vergessen. Zum anderen förderten sie das Zusammengehörigkeitsgefühl bestimmter städtischer Gruppen. In der bisherigen mittelal­terlichen Weltordnung, die aus Bauern, Priestern, Kriegern und dem König bestand, hatte das Handwerk noch keinen Platz gefunden. Erst langsam entwickelte sich das Bewusstsein, ein eigener Stand zu sein. Einen Beitrag auf diesem Weg leisteten die Handwerkerfeste. Hier wurde das Gefühl, einer festen Gruppe anzugehören, symbolisiert und aktuali­siert. Wenn man sich vergegenwärtigt, welche Bedeutung Symbole und Gesten im Denken der mittelalterlichen Menschen gehabt haben, wird man dies keineswegs als Überinterpretation empfinden.

2.) Wirtshaus und Spiele

Genau wie heute ging man auch im Mittelalter abends gerne ins Wirtshaus. Dort traf man Freunde, trank mit ihnen ein Bier und unterhielt sich über Gott und die Welt.

Nicht nur das, auch gespielt wurde im Wirtshaus. Das Mittelalter kannte eine wahre Spielleidenschaft. Das ging so weit, dass die Obrigkeit sich genötigt sah, Verbote und Gebote zu erlassen. Sie legte Höchsteinsätze fest und verbot das Spielen an Sonntagen völlig. Nicht selten kam es vor, dass jemand Hab und Gut beim Spiel verlor.

Man kannte bereits viele Spiele. Besonders beliebt waren Würfel- und Kartenspiele, die mit ihren Bildern die ständische Ordnung widerspiegel­ten, ebenso wie das Schachspiel, das allerdings nur von den oberen Ständen gespielt wurde. Außerdem kannte man bereits Mühle und Dame. Be­sonders beliebt war das Trick-Track-Spiel. Spieleinsatz war meistens Geld, es kam aber durchaus auch vor, dass dem Gewinner ein Besuch im Badehaus winkte. Die mittelalterlichen Badehäuser dienten nicht nur der Reinlichkeit, sondern waren wie die Wirtshäuser Kommunikationszentren, in denen auch gespeist, getrunken, zur Laute gesungen und anderen sin­nenfrohen Vergnügungen gefrönt wurde...

3.) Markt und Unterhaltung

Der mittelalterliche Markt war nicht nur Waren- und Verkehrsknotenpunkt, sondern Informationsbörse Nr. 1. Hier erfuhr man den neuesten Klatsch aus der Nachbarschaft, Händler berichteten über Ereignisse aus anderen Städten, die Obrigkeit nutzte die Ansammlung der Bürger , um Verordnun­gen, Veranstaltungen usw. bekanntzugeben. Gaukler sorgten für Unterhal­tung und informierten auf satirische Weise über politische Vorgänge. Auch die Bänkelsänger trugen kritische Lieder vor und waren ein wichtiges Ventil für die Volksmeinung. Auf dem Marktplatz und den Jahrmärkten der Umgebung traten ferner Jongleure, Seiltänzer und "Scheuneporzler" (= Scheunenpurzler) auf.

Auf dem Marktplatz wurden die Schandstrafen öffentlich vollstreckt. Eine Marktfrau am Schandpfahl, ein Missetäter im Triller befriedigte die Schadenfreude der Menschen. Aber auch manches Todesurteil wurde auf dem Heidelberger Marktplatz vollstreckt. So grausam es klingt, aber es scheint in der Natur des Menschen zu liegen, auch diese Ereignisse als Abwechslung und angenehm gruselnde Unterhaltung zu sehen.

1) J. Bader, Heidelbergs Anfänge ..., Badenia 2, 1862, S. 469

2) ebenda, S. 484

3) W. Waldschmidt, Altheidelberg und sein Schloß, S. 194/195

4) L. Merz, Turniere in Heidelberg, Sonderdruck aus "Kraichgau" Folge 6, 1979

5) G. Brecht, Die Heidelberger Straßennamen, S. 56/57